Mittelohrentzündung (=Otitis media) bei Kindern Medizinisches Wissensnetzwerk evidence.de der Universität Witten/Herdecke Autoren, Quellen, Hintergründe, Gültigkeitsdauer, 1. Version 11/2002:
Diese Patientenleitlinie richtet sich an Eltern und Betreuer, deren Kinder an einer akuten, also heftig und meist schnell verlaufenden, Mittelohrentzündung erkrankt sind. Der Aufbau des Ohres, Krankheitszeichen, sowie Untersuchungs- und Behandlungsmethoden werden beschrieben und unter Berücksichtigung aller neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erklärt. Häufige Fragen, wie zum Beispiel der Umgang mit Antibiotika, werden aufgegriffen und diskutiert. Diese Leitlinie kann jedoch nur eine Zusatzinformation sein, die das Gespräch mit Ihrem Arzt nicht ersetzt.
Die Inhalte dieser Patientenleitlinie basieren auf einer Leitlinie für Ärzte, die unter www.evidence.de zu finden ist. Beide Leitlinien wurden von einem unabhängigen Expertenteam erstellt.
Das Ohr besteht aus drei Bereichen: äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr (siehe Grafik). Die Ohrmuschel und der Gehörgang gehören zum äußeren Ohr. Der Schall trifft auf seinem Weg zum Innenohr am Ende des Gehörgangs zunächst auf das Trommelfell und bringt es zum Schwingen. Äußeres Ohr und Mittelohr sind durch das Trommelfell voneinander getrennt. Im
luftgefüllten Mittelohrraum befinden sich drei winzige Knöchelchen, die miteinander in Verbindung stehen. Sie sind die „Brücke“ zwischen äußerem Ohr und Innenohr. Durch das schwingende Trommelfell geraten sie ebenfalls in Schwingungen und übertragen so die Schallwellen auf das Innenohr.
Die akute Mittelohrentzündung ist eine der häufigsten Erkrankungen im Kindesalter. „Akut“ bedeutet: plötzlich einsetzend und heftig, aber schnell verlaufend (abheilend). Diese Art der Mittelohrentzündung tritt verstärkt im Winterhalbjahr auf. Kinder, die daran erkranken, waren meistens vorher erkältet.
Eine akute Entzündung (siehe 1.2), die sich auf das Mittelohr beschränkt, ist zwar schmerzhaft, sie heilt jedoch bei richtiger Beobachtung und Behandlung des Kindes normalerweise komplikationslos wieder ab. Da keine direkte, offene Verbindung zwischen äußerem Ohr, Mittelohr und Innenohr besteht, breitet sich die Entzündung in den meisten Fällen nicht weiter auf die umliegenden Teile des Ohres oder des Schädelknochens (z.B. auf das ohrnahe Schläfenbein) aus. Eine gewissenhafte Beobachtung und Behandlung des Kindes in Absprache mit ihrem Kinderarzt oder dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist jedoch absolut notwendig. Auch wenn es zu einer Ausbreitung der Entzündung über das Mittelohr hinaus kommt, gibt es erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten. Eine solche Ausbreitung muss jedoch frühzeitig erkannt werden. Warnhinweise, bei deren Auftreten der Arzt aufgesucht werden muss: Allgemeine Krankheitszeichen: Auffälligkeiten am Ohr und in Ohrnähe:
Wenn sich Flüssigkeit im Mittelohr ansammelt, steckt meistens eine Entzündung dahinter. Es
gibt jedoch nicht nur einen akuten, also heftigen und schnellen, sondern auch einen schleichenden, chronischen Entzündungsverlauf. Eine Mittelohrentzündung, die länger als drei Monate anhält, nennt man chronisch. Bei einer chronischen Mittelohrentzündung hat Ihr Kind meistens keine heftigen Schmerzen. Aufmerksam werden muss man eher, wenn das Ohr immer wieder „läuft“ oder Ihr Kind schlechter hört. Beides spricht für eine chronische, also schleichende
Entzündung, die zwar nicht so weh tut, in deren Verlauf sich aber immer wieder Flüssigkeit im Mittelohr ansammelt.
Es gibt Kinder, die besonders gefährdet sind eine Mittelohrentzündung zu bekommen. In solchen Fällen könnten einer oder mehrere der folgenden Risikofaktoren vorliegen: 1. Äußere Umstände, denen das Kind ausgesetzt sein kann: 2. Individuelle Ursachen
Sehr oft kann man folgenden Ablauf beobachten: Ihr Kind hat eine harmlose Erkältung, die
gerade wieder abheilt. Plötzlich wird es quengelig, appetitlos und klagt häufig zunächst über Kopf- oder sogar Bauchschmerzen. Die Ohrenschmerzen selber beginnen oft nachts oder abends. Im weiteren Verlauf kann auch Fieber auftreten.
Wenn Sie aufgrund der unter 3.1 genannten Krankheitszeichen das Gefühl haben, dass Ihr Kind eine Mittelohrentzündung hat, sollten Sie auf jeden Fall den Arzt aufsuchen. Dies muss jedoch nicht notfallmäßig geschehen, wie zum Beispiel mitten in der Nacht. Obwohl Ihr Kind unter Umständen starke Schmerzen hat, besteht normalerweise keine akute Gefahr. Um die Zeit bis
zum Arztbesuch zu überbrücken können Sie auch selber etwas gegen die Schmerzen und das Fieber tun (Schmerz- und fieberlindernde Maßnahmen siehe 4.3 und 5.1).
Eine Befragung der Eltern und wenn möglich des Kindes, eine Untersuchung des Halses, des Kopfes, beider Ohren und das Messen der Körpertemperatur reicht meistens schon aus, um den Verdacht auf eine Mittelohrentzündung zu bestätigen. Zur Untersuchung des Ohres gehört auch die Ohrenspiegelung mit dem Otoskop. Einen genaueren Eindruck von der Funktionstüchtigkeit des Mittelohres bekommt man, wenn man die Beweglichkeit des Trommelfelles misst (Tympanometrie). Zum Ausschluss anderer Erkrankungen gehört die komplette körperliche Untersuchung des Kindes (also auch Herz und Lunge abhören und den Bauch untersuchen). Ein Aufschneiden des Trommelfells durch die so genannte Parazentese (siehe 4.4), um Flüssigkeit abzuleiten und Krankheitserreger darin nachzuweisen, ist normalerweise nicht notwendig.
Der Arzt fragt Sie oder Ihr Kind nach Um den richtigen Eindruck vom momentanen Zustand Ihres Kindes zu bekommen und um andere Erkrankungen auszuschließen, wird der Arzt nicht nur die Ohren, sondern den gesamten Kopf, die Augen und den Hals Ihres Kindes untersuchen, Herz und Lungen abhören, den Bauch untersuchen und vielleicht sogar die Reflexe prüfen.
Mit dem Ohrenspiegel kann der Arzt in den äußeren Gehörgang schauen und diesen bis zum Trommelfell genau beurteilen. Wie unter 1.1 beschrieben sind äußerer Gehörgang und Mittelohr
durch das Trommelfell voneinander getrennt (siehe auch Grafik). Flüssigkeit und Schleim aus dem entzündeten Mittelohr können nur in den Gehörgang gelangen, wenn sich ein Riss im
Trommelfell gebildet hat. Ein solcher Riss oder andere Verletzungen und Veränderungen des Trommelfells sind mit Hilfe des Ohrenspiegels zu sehen. Auch eine Flüssigkeitsansammlung hinter dem intakten Trommelfell (also im Mittelohr) kann Ihr Arzt auf diese Weise erkennen.
Bei der Tympanometrie wird die Beweglichkeit des Trommelfells geprüft. Dafür wird mit einer Sonde ein paar Sekunden lang im äußeren Gehörgang gemessen.
Ja. Wenn Ihr Kind eine Mittelohrentzündung hatte, sollte der Arzt nach 3-4 Wochen nachschauen, ob alles gut verheilt ist und weder Ohr noch Hörfähigkeit gelitten haben. Dazu gehört auch ein Hörtest. Achten Sie auch selber nach einer Mittelohrentzündung darauf, ob Ihr Kind noch genauso gut hört wie vorher.
Als probates Mittel erweisen sich in solchen Fällen Paracetamol-Zäpfchen. Sie bekämpfen die
Schmerzen und senken gleichzeitig das Fieber. Wenn Ihr Kind nachts plötzlich wegen starker Ohrenschmerzen aufwacht, können Sie die Zeit bis zum Morgen und zum Arztbesuch mit der Gabe von Paracetamol-Zäpfchen überbrücken. Halten Sie sich dabei aber unbedingt an die in der Packungsbeilage empfohlene Mengenangabe. Schmerzmittel wie Paracetamol-Zäpfchen lindern zwar Schmerzen und senken Fieber, so dass es Ihrem Kind meistens besser geht, sie
beschleunigen die eigentliche Heilung des Ohres jedoch nicht. Ohrentropfen sind bei einer normalen Mittelohrentzündung nicht sinnvoll, da sie das Trommelfell nicht durchdringen und damit gar nicht bis in das Mittelohr gelangen (Aufbau des Ohres siehe 1.1). Abschwellende Nasentropfen ( z.B. Xylometazolin) sollen die Belüftung des Mittelohres wieder herstellen (siehe 1.1). Es gibt jedoch keine Untersuchung die nachweist, dass sie die Heilung begünstigen.
Wie unter 1.1 beschrieben, werden etwa 60 Prozent der akuten Mittelohrentzündungen durch Bakterien und etwa 40 Prozent durch Viren ausgelöst. Antibiotika können zur Bekämpfung von Bakterien, nicht aber von Viren eingesetzt werden. Bei der Behandlung von
Mittelohrentzündungen hat sich gezeigt, dass schwierige Verläufe (z.B. Ausbreitung der Entzündung auf den Schädelknochen oder Hörverlust) durch die Behandlung mit Antibiotika nicht vollständig verhindert werden konnten. Kinder, die keine Antibiotika einnehmen, haben nahezu genauso selten mit ernsthaften Folgen von Mittelohrentzündungen zu kämpfen, wie Kinder, die von Anfang an mit Antibiotika behandelt werden. Die Gabe von Antibiotika bei Kindern mit Mittelohrentzündung will also wohl überlegt sein. Haben sich die Beschwerden innerhalb von 36-48 Stunden nicht gebessert, muss das Kind
unbedingt dem Arzt wieder vorgestellt werden, die Situation neu überdacht werden und gegebenenfalls doch ein Antibiotikum eingesetzt werden. Kinder unter zwei Jahren sollten schon nach 24 Stunden ein zweites Mal vom Arzt gesehen werden. Das individuelle Vorgehen bei Ihrem Kind sollten Sie mit Ihrem Kinderarzt oder Hals-Nasen-Ohren-Arzt besprechen. Wenn ein Antibiotikum eingesetzt wird, sollten Sie und Ihr Kind die Einnahme aber unbedingt über den gesamten vorgeschriebenen Zeitraum durchhalten.
Dies sind normalerweise 5-7 Tage. Meistens geht es Ihrem Kind schon nach 2-3 Tagen besser. Geben Sie das Antibiotikum aber trotzdem weiter. Die Bakterien sind nach 2-3 Tagen noch nicht vollständig bekämpft. Die „übriggebliebenen“ Bakterien können sich unter Umständen an das Antibiotikum „gewöhnen“ und beim nächsten Mal nicht mehr durch diesen Stoff bekämpft werden. Ihr Arzt spricht davon, dass die Bakterien gegen ein bestimmtes Antibiotikum resistent
sind. Diese Resistenzbildung gilt es, im Interesse Ihres Kindes, zu verhindern. Die Parazentese (auch Tympanozentese oder Myringotomie genannt) ist ein Trommelfellschnitt. Im unteren Bereich des Trommelfells wird ein kleiner Einschnitt gemacht damit sich die dahinter liegende Flüssigkeit aus dem Mittelohrraum entleeren kann. Kindern, die über einen längeren Zeitraum an einer Flüssigkeitsansammlung im Mittelohrraum leiden, kann damit kurzfristig geholfen werden. Langfristig sollte natürlich die eigentliche Ursache für die Flüssigkeitsansammlung gefunden und behandelt werden. Die gewonnene Flüssigkeit kann ins Labor geschickt werden. Dort wird untersucht, um welche Krankheitserreger (Bakterien- oder Virengruppen) es sich im einzelnen handelt, um ggf. eine spezielle Behandlung einzuleiten. Ein Trommelfellschnitt wächst von selber wieder zu.
Kranke Kinder, besonders wenn Sie Fieber haben, brauchen viel Flüssigkeit. Das ist auch bei einer Mittelohrentzündung nicht anders. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind genug trinkt. Wenn es die „gesunden“ Getränke vehement ablehnt, darf es auch schon mal das Lieblingsgetränk sein. Bedenken Sie jedoch, dass Cola-Getränke Koffein enthalten. Viele Eltern berichten über den erfolgreichen Einsatz von alternativen Medikamenten und Maßnahmen wie zum Beispiel Zwiebel- oder Kamillesäckchen für die Ohren sowie Wadenwickel bei Fieber. Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser Maßnahme wurde zwar durch individuelle Erfahrungen bestätigt, bisher jedoch nicht wissenschaftlich untersucht: Zwiebel- oder Kamillesäckchen: Wadenwickel bei Fieber: Wärme (z.B. Rotlicht):
Die Frage, ob Ihr Kind wieder schwimmen oder in Schule oder Kindergarten gehen darf, kann im individuellen Fall nur der Arzt beurteilen, der Ihr Kind kennt und ggf. nachuntersucht. Generell ist folgendes zu bedenken. Gerade nach einer heftigen Mittelohrentzündung, sind beim Abklingen von Schmerz und Fieber die Folgen der Entzündung oft noch gar nicht abgeheilt. Es kann gut sein, dass sich Ihr Kind wieder gesund fühlt, es aber trotzdem noch ein- oder zwei Tage Ruhe braucht, um wieder „richtig“ gesund zu werden. Wenn eine Hörminderung mehr als drei Monate anhält, sollte das Kind nochmals beim Arzt vorgestellt werden. Beachten Sie die unter 2.3 beschriebenen äußeren Umstände und prüfen Sie, ob Ihr Kind zum Beispiel häufig Zigarettenrauch ausgesetzt ist, oder zu viel am Schnuller nuckelt. Auch das Zusammensein mit anderen Kindern erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine
Mittelohrentzündung auftritt. Ihr Kind deshalb von anderen Kindern fernzuhalten, ist jedoch für seine Entwicklung insgesamt eher schädlich als förderlich.
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